Umsatzsteigerung, Awareness, Bekanntheitsgrad und "Relevant Set" sind Schlagworte, die hinter fast jeder Werbestrategie stehen. Auf Facebook sollte man seine Erwartungen aber im Zaum halten...
Monoton agiert die Online-Werbeindustrie im Hype: "Facebook" quakt es aus allen social-media-verliebten Agenturköpfen. In den Atempausen kollektiven Jubels hört man den einen oder anderen vorsichtig "Twitter", "Foursquare" oder "Mobile Marketing" flüstern, bis das Geschrei von Neuem startet: Facebook-Apps, Facebook-Mail, Social-Media-Strategien braucht die Wirtschaft - vom Gemüsehändler bis zum Schwermetallkonzern. Anstatt im Web herum zu surfen, würden sich mindestens 500 Millionen Menschen jetzt viel lieber innerhalb des eng gesteckten Facebook-Territoriums bewegen, um sich unentwegt durch Apps zu klicken und sich vom "branded entertainment" unterhalten zu lassen.
Nein, danke!
Doch Werbung hat auf Facebook nichts verloren, und zwar aus folgenden Gründen:
Facebook ist kein Werbemedium. Die Plattform funktioniert, weil sie soziale Handlungen ermöglicht und dadurch grundlegende Bedürfnisse in einer immer unübersichtlicher werdenden Gesellschaft (Globalisierung, Migration, Wertepluralismus, Individualisierung) zu befriedigen vermag. Auf Facebook wird interagiert, imitiert, imponiert, distinguiert, persifliert - und sich identifiziert. Ein Blick auf Social-Media-Plattformen wie Facebook und Twitter, MySpace und andere zeigt: Es geht in erster Linie um Selbstvergewisserung und die Beantwortung elementarer Fragen wie: Wer bin ich? Wie bin ich? Wie bin ich in Relation zu anderen? Wo gehöre ich dazu? Wer gehört nicht dazu? Facebook ist ein riesiger Setzkasten mit Identitätsbausteinen (zB. vgl. Döring 2003, S. 161ff).
Werbung nervt - meistens in Massenmedien, für deren Konsum wir gelernt haben, Persuasionsversuche in Kauf zu nehmen, und erst recht nervt sie dann, wenn wir mit Wichtigerem beschäftigt sind. Wenn wir dabei sind, uns über die Befindlichkeiten innerhalb unseres virtuellen Freundeskreises zu informieren, empfinden wir Kauf- und Nutzungsempfehlungen kommerziellen Ursprungs bestenfalls als lästiges Rauschen. Denn dafür klickt sich niemand in Facebook.
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, mittels Facebook-Page Erstkontakte zu potenziellen Neukunden herzustellen? Es gibt zwar Suchmöglichkeiten für und auf Facebook, aber wer würde dort nach einem Installateur, einem Mechaniker oder dem günstigsten PC-Angebot suchen? Und auch mein Lieblingsjoghurt habe ich nicht auf Facebook kennen und lieben gelernt.
Jahrzehntelange Medien- und Werberezeption hat den Menschen gelehrt, sich auf seine selektive Wahrnehmung zu verlassen. Auf Facebook hat man nur ein Auge für bekannte Gesichter (vgl. Felser 2001, S. 124f oder vgl. Scheier & Held 2007, S. 47ff).
Und schließlich könnte man als Werbetreibender auf dem Standpunkt stehen, sich durch rigorose und gleichzeitig gummiartige Promotion-Richtlinien auf Facebook nicht in seiner Kreativität beschneiden lassen zu wollen. Gewinnspiele ohne jegliche Bedingung (also auch keine Beantwortung von Gewinnfragen?) kann ich genauso gut per Flyer veranstalten, und auf der eigenen Unternehmenswebsite kann ich ohnehin uneingeschränkt kreativ experimentieren.
Ja, bitte!
"Humbug", höre ich Experten, "Gurus" und andere Social-Media-Fans meine Argumentation kommentieren - während einer kurzen Atempause kollektiven Jubels. Und es wäre schade, ginge dadurch das leise Geflüster über Twitter und Mobile Marketing unter. Denn natürlich macht es Sinn, auch Facebook mit einem Teil des Werbebudgets zu bedenken, und zwar aus einfachen Gründen:
Facebook hat das Weiterempfehlen revolutioniert: Man muss nicht mehr darauf warten, von Ratsuchenden um seine Meinung gebeten zu werden, sondern tut vorweg schonmal per Mausklick kund, was gefällt. In den Genuss teilautomatisierter Marken- und Produktempfehlung kommt selbstverständlich nur, wer auch auf Facebook präsent ist oder sich zumindest Gedanken darüber gemacht hat, von der "Gefällt mir"-Funktion in Form eines Facebook-Buttons auf einzelnen Webseiten Gebrauch zu machen.
Marken transportieren Bedeutungen. Bedeutungen werden im sozialen Kontext von ihren Nutzern ausgehandelt (zB. vgl. Scheier & Held 2007, S. 31f). Um Bedeutung zu erlangen, muss man sich der Community (bestehend aus Kunden und Zielgruppen) zur Verfügung stellen, muss sich nutzen, kommunizieren, kommentieren, mitunter auch diffamieren lassen. Auf Facebook kann man - ein Mindestmaß an Selbstvertrauen vorausgesetzt - seinem Klientel also den Ball in die Hand drücken mit der Aufforderung, damit zu spielen.
Und am besten sieht man dabei zu, denn: Werbung und Marketing beobachten seit je her, was Menschen mit Angeboten (materiellen und immateriellen) tun (zB. vgl. Zurstiege 2005, S. 10f & S. 194ff). So wie (traditionelle) Medien nicht "asozial" sein können, weil soziale Systeme Teil ihres Gegenstands sowie ihres Umfelds sind, ist Werbung von Natur aus sozial: Sie muss auf Bedürfnisse reagieren, Nutzungsweisen, Handlungsweisen und Ausdrucksweisen erkennen, imitieren, instrumentalisieren. All dies ließe sich kaum einfacher beobachten und analysieren als auf Facebook und Twitter.
Auch wenn Facebook als "Persuasionsmedium" nicht uneingeschränkt für jede Branche und jedes Produkt gleichermaßen erkenntnisbringend wirkt, zahlt sich der verhältnismäßig geringe Einsatz von Zeit und Geld aus, um unter anderem auch dort präsent zu sein. Und lässt sich dadurch in Jahren nur ein einziger Neu- oder gar Stammkunde gewinnen, so lassen sich Zeit und Geld für Werbung ungleich zweckfreier vergeuden.
Kurz: Wer in Facebook - oder anderen "sozialen" Medien - eine Revolution der Online-Werbung sieht, wird schnell über zu hohe Erwartungen stolpern. Sein heilbringendes Potenzial kann noch so intensiv und meist lautstark beschworen werden: Werbung hat auf Facebook nichts verloren.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen