Donnerstag, 22. Mai 2008

Web 2.0 auf dem Prüfstand

Die Zeit des Selbstzwecks im Web 2.0 ist vorbei. Zumindest sollte sie das sein, denn die zu Verfügung stehenden Mittel können zu mehr verwendet werden, als online pseudo-soziale Kontakte zu pflegen und virtuelle Werbeflächen zu schaffen.

Es ist ja - vor allem am Anfang der "Erkundungsreise" - ganz nett und interessant, das soziale Web zu entdecken: ein Video auf YouTube zu laden, da und dort Profile anzulegen... oder ein Weblog zu starten, um die Belanglosigkeiten des Alltags im virtuell-öffentlichen Raum Revue passieren zu lassen. Langsam aber wird es Zeit, sich der wesentlichen Dinge - und Möglichkeiten - bewusst zu werden.


Dass social networks besonders effektiv funktionieren, wenn es um "etwas" geht, wenn ihre Mitglieder gemeinsame Ziele verfolgen, zeigen Phänomene wie "Anonymous" (im Kampf gegen Scientology, der auch auf YouTube bestritten wird), die WLAN-Community fon oder die Improvisationsperformer "Improv Everywhere", deren Nachahmer sich auch in Wien finden lassen, wo Flash Mobs Szenen auf Bahnhöfen, sogar am Stephansplatz für einige Momente "einfrieren". Nicht zuletzt ist die wachsende OpenSource-Gemeinde ein gutes Beispiel für den Erfolg einer gemeinsamen Sache oder Idee.

Während es sich bei vielen dieser Netz-Aktivitäten um eine Art Randgruppenphänomene handelt, für die sich nur eine begrenzte Anzahl der Netznutzer interessieren (und engagieren), steht ein Thema vor der Türe, das alle betrifft: der Sprit fürs Gefährt.

Nur sehr zögerlich wird hierzulande über die undurchschaubaren Geschäftsgebarungen der Tankstellenbetreiber und Öl-Konzerne diskutiert (zB. auf oeamtc.at). Sogar in Esoterik-Foren tauscht man mittlerweile auch Rezepte fürs Treibstoffsparen aus. Und hie und da funkelt der eine oder andere schüchterne Beitrag zu den horrenden Preisen in der Blogsphäre auf. Einer bringt die Fakten im Zuge seiner betont sachlichen Marktanalyse eher beiläufig auf den Punkt: "Die Nachfrage haben dagegen wir in der Hand!" (brott bloggt).

Moment! Die Sache mit dem "Wir" haben wir nun lange genug geprobt - auf MySpace und StudiVZ, in XING und Facebook und auf all den anderen Plattformen des sozialen Web. "Wir" sind richtig gut darin, spontane Mobs zu organisieren, bekannte wie neue Kontakte zu finden und auszutauschen, was auszutauschen ist: Tratsch, Anleitungen, Referate und Mitschriften... und einiges mehr.

Auch der Austausch von Spritpreis-Informationen hat ganz gut funktioniert, bis ein Teil des riesigen Marktes begann, an seinen Regeln zu drehen: Die Angebot-Seite - also Öl-Konzerne und Tankstellenbetreiber - machten sich die naturgegebene Trägheit der Kommunikation zu nutze und variierten die Preise öfter, als sie von den eifrigen "Spritpreismeldern" verbreitet werden konnten. Die Nachfrage-Seite aber sind wir, das bedeutet (für Österreich): 5.942.912 Kraftfahrzeuge, die auf ca. 8,3 Millionen Menschen kommen. Darunter befinden sich (mit Stand 2007) 5,2 Millionen potenzielle Web-2.0-Nutzer (ab 14 Jahre) - beindruckende Zahlen für ein kleines Land, das zur Zeit auf allen Kanälen über die hinaufschießenden Benzin- und Dieselpreise und die verwirrenden Taktiken der Anbieter stöhnt und jammert.

Dabei war es uns - Nachfragern und Kunden - nie leichter, den Markt ganz gezielt mit zu beeinflussen (so wie es die andere Seite mit scheinbar übermächtigen Mitteln der Marktkommunikation und Preispolitik seit je her tut). Nie war es leichter, den gemeinsamen Interessen (nämlich an einer fairen Preis-/Politik) Ausdruck zu verleihen. Und nie standen uns derart effiziente und effektive Kommunikationsmittel zu Verfügung wie heute.

Es ist eine Bewährungsprobe für das Web 2.0: Bleibt es ausschließlich ein Tool zur schnellen Scheinbefriedigung sozialer Bedürfnisse, ein Zeitvertreib für zwischendurch, oder hilft es uns allen, mehr zu bewegen? Wir sind das Web - und wir sind ein (nicht unwesentlicher Teil) des (Treibstoff-) Marktes.

Mit den Mitteln des Web besteht erstmals die Möglichkeit, (zB. tageweise) Boykotte oder andere Protestaktionen auf ganz breiter Ebene zu organisieren, ohne auf professionelle Massenmedien als Vermittler angewiesen zu sein. Ich bin gespannt, ob wir es schaffen, die ausgiebig geübten Fertigkeiten im Umgang mit dem Internet zu nutzen.