Mittwoch, 5. September 2012

Jammern macht kein gutes Bild

Mehr als tausend Worte, sagt man, könne ein einziges Bild vermitteln. Entgegen dieser Werbeformel bedienen sich die Meister der Visualisierung in letzter Zeit ihrer aber in übermäßiger Zahl...

… und der immer gleichen Argumente. Seit Beginn der Diskussion über eine Novellierung der österreichischen Gewerbeordnung herrscht Panik unter den Berufsfotografen dieses Landes: Man fürchtet die Entwertung von Lehre und Meisterprüfung, skizziert düstere Job-Prognosen für einschlägiges Lehrpersonal, erst in der letzten Ausgabe des Innungsorgans "Der Photograph" (S. 23) sudert ein Branchenvertreter meisterhaft: Er sehe "[...] nicht den geringsten Anlass, jedem dahergelaufenen Knipser die Möglichkeit zur gewerblichen Ausübung unseres Berufes zu geben."


Das Bestreben, sich durch langwierig erarbeitete Formalqualifikation von anderen Subsystemen zu unterscheiden, ist nachvollziehbar. Worauf man sich in der Branche aber offenbar nur ungern verlassen möchte, ist das Qualitätsbewusstsein der eigenen Klientel: Ist man unter Fotografen denn der Meinung, nur, weil es ein diversifiziertes Angebot am Markt gebe, würde man "dahergelaufene Knipser" damit betrauen, den vermeintlich schönsten Tag im Leben oder die Taufe der Lieblingsnichte festzuhalten, das Unternehmen effektvoll zu porträtieren oder Dutzende Produkte für den sündteuer hergestellten Katalog zu fotografieren?

In der Panik geht die Argumentation völlig am Kunden vorbei. Denn ein Meisterfotograf bleibt ein Meisterfotograf - erst recht, wenn er sich (wie der oben Zitierte) mit dem werbestarken Titel "Kommerzialrat" aufwertet. So wie ein Volkswagen ein Volkswagen bleibt, auch wenn er am Markt mit Angeboten von Škoda konkurriert (orientiert am Markenimage). Der "Meister" und sein etablierter Name sind - hoffentlich - längst zu einer Marke geworden, die für Qualität steht und sich gegenüber vermeintlichen "Dilettanten" deutlich unterscheidet.

Ehrlich, liebe Meisterfotografen, es besteht tatsächlich nicht der geringste Anlass, um Prestige und Geschäft, um euren Beruf zu bangen, bloß weil es ambitionierten "Knipsern" erleichtert wird, sich in der einen oder anderen (wenig lukrativen) Nische zu versuchen. Denn abgesehen davon, dass es zweifelsfrei beträchtliches Know-how erfordert, erfolgreich mit dem "rechten Licht" zu hantieren, sind ernsthaftes Engagement, langfristige Berufspläne und erste Erfolge Grundvoraussetzungen für Investitionen jenseits von Gut und Böse, in professionelle Ausrüstung nämlich, die sich niemand leisten kann und möchte, der nicht ernsthaft annehmen dürfte, am Markt zu bestehen (die Rechnung ist so simpel, dass man auch ohne kaufmännische Ausbildung zum richtigen Schluss gelangt).

Die nervige Diskussion um eine liberalisierte Gewerbeordnung führt aber auch vor Augen, dass sich beinhart reglementierte Berufszugänge vor dem Hintergrund steigender Arbeitslosenzahlen nur sehr unglaubwürdig argumentieren lassen: Bürokratische Hürden am Weg zu einem selbstbestimmten, würdevollen Leben sind das letzte, das einem strapazierten Arbeitsmarkt Entspannung bringt.

Dienstag, 22. Mai 2012

Soziales Engagement: Wenn Verantwortung beim PR-Text endet

Ein stundenlanges Vorstellungsgespräch endet mit hoffnungsvollen Ankündigungen von Praktika und Angestelltenverhältnissen. In ein, zwei Wochen würde man sich melden. Vier Monate vergehen…

… und erst nach Interventionen über Verwandtschafts- und Bekanntschaftsbeziehungen wird die ausnahmsweise Zusage für ein unbezahltes Praktikum erteilt. Dabei ist das Gebaren der bauMax AG in Fällen wie jenem wahrscheinlich kein Einzelphänomen. Der Arbeitsmarkt bietet "normalen" Menschen kaum Entwicklungsmöglichkeit, wie schwer haben es erst Menschen mit Beeinträchtigungen?

Stefanie hat einen Hauptschulabschluss, zusätzlich ein Polytechnikum sowie eine Bundesfachschule für wirtschaftliche und soziale Berufe absolviert. Aus ihrem bescheidenen Traum-Beruf der Kindergartenhelferin wurde sie hinausgemobbt. Es folgte eine Karrierestation als Reinigungskraft bei einer Hausbetreuungsfirma. Heute ist sie 29 Jahre alt und arbeitet seit mehreren Jahren als Telefonistin für Verlage und Marketingfirmen, so genannte Call Center - natürlich freiberuflich, also ohne Urlaubsansprüche und ausreichende Absicherung im Krankheitsfall. Aber Stefanie hat eine Kämpfernatur. Nur so ist ihre unverändert positive Grundeinstellung zu erklären, die andere längst verloren und es sich im flauschigen Netz Österreichischer Sozialleistungen bequem gemacht hätten. Sie wird sich nicht unterkriegen lassen.

Denn würde man den verheißungsvollen Presse- und PR-Texten von bauMax und den anderen glauben und sich auf jenes soziale Engagement verlassen, mit dem man sich nach außen hin gerne schmückt, dürfte man von einem betreuten Gnaden-Praktikum zum nächsten hüpfen - um am Ende erst recht von der Wohlfahrt zu leben. Ist dies das Ziel der Unternehmen, die sich damit brüsten, die berufliche Integration von beeinträchtigen Menschen zu fördern?

Soziale Verantwortung (NeuDeutsch: "Corporate Social Responsibility", CSR) endet also in vielen Fällen mit werbewirksamen Inszenierungen: Tageweises "Hineinschnuppern" in die echte Arbeitswelt der "Normalen" wird angeboten, oder dass Produkte aus den "Werkstätten" verkauft werden dürfen. Auch Feste und Sportveranstaltungen werden im Zeichen der "Menschen mit Handicap" unter gut sichtbarer Firmenflagge veranstaltet. Was bleibt, ist das menschenfreundliche Image bei der Zielgruppe - und das hinterm Horizont verschwindende Bild eines unerreichbar scheinenden "normalen" Lebens für die "Gehandicapten".

Befindet man sich in der - wohlgemerkt: nicht selbst-verschuldeten - Situation, aufgrund von Schwächen und Beeinträchtigungen von der Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen und Sub-Systemen ausgeschlossen - zumindest dabei behindert - zu werden, fällt ein autonom geführtes Leben schwer genug. Aber Benachteiligte nicht nur nicht zu fördern, sondern ihr Schicksal zu Marketing- und PR-Zwecken zu missbrauchen, sollte in unserer aufgeklärten Gesellschaft zumindest für Empörung sorgen. Doch wie so oft, wenn es um demokratiepolitisch irrelevante Minderheiten geht, beruhigt die Gesellschaft ihr kollektives Gewissen durch Auslagerung der Sorgen an mildtätige Organisationen und Pro-Forma-Beratungsstellen. So wie Firmen mit genau diesen Beruhigungsinstitutionen Partnerschaften eingehen, um sich als Förderer selbst zu feiern - und damit niemand sagen kann, man würde keine "soziale Verantwortung" zeigen. Die wird sehrwohl gezeigt, ernsthaft gelebt wird sie nur selten.


Dass Stefanie "arbeitsfähig", erst recht arbeitswillig, ist, hat sie uns allen - ihrer Familie - in den letzten Jahren eindrucksvoll gezeigt. Für Ausdauer und Willensstärke ist sie uns ein unerreichtes Vorbild. Die erfolgreiche Integration in gesellschaftliche Prozesse aber, zu denen auch ein geregelter Arbeitsalltag gehört, braucht echtes Engagement vonseiten jener Arbeitgeber, die wirklich sozial verantwortungsvoll agieren und deren Bewusstsein für beeinträchtigte Arbeitnehmer/-innen sich nicht auf das Verfassen wohlklingender Firmenphilosophien und sympathischer Werbetexte beschränkt. Die unser aller Gewissen nicht an einzelnen "Aktionstagen" zu beruhigen versuchen, sondern die Menschen ungeachtet ihres sozialen Status' ein selbstbestimmtes und würdevolles Arbeitsleben ermöglichen und somit einen wertvollen Beitrag zum Funktionieren unserer komplexen Gesellschaft leisten.


An all jene richte ich den expliziten Auruf, sich bei uns zu melden, wenn sie mehr über Stefanie erfahren und ihr eine wohlverdiente Chance geben möchten. Alle anderen rufe ich dazu auf, etwas an diesem empörenden Zustand unserer Gesellschaft ändern zu wollen, für ein wenig mehr Gemeinschaft.


Post scriptum: Ich bin keiner, der (natürliche, juristische oder sonst irgendwelche) Personen bei der ersten Gelegenheit unter dem Deckmantel scheinbarer Anonymität an den virtuellen Pranger stellt. Es ist die Enttäuschung nach vier Monaten des Wartens und nach all den Jahren vergeblicher Bemühungen um Assistenz, die mich dazu veranlasst hat, die Realität darzustellen, freilich ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu erheben.

Sollte es anderen Arbeitssuchenden (mit Beeinträchtigung) ähnlich wie beschrieben ergangen sein, meldet euch. Auch die mit etwas mehr Glück sind herzlich eingeladen, hier von ihren positiven Erfahrungen zu berichten.


Ach ja, bezüglich der Sache mit der Anonymität:
Für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Gregor Tatschl
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