Mittwoch, 20. Oktober 2010

Das Ausländerproblem, ein Bildungsproblem?

Die Gemeinderatswahl in Wien ist seit einiger Zeit geschlagen. In der Schlacht auf unterstem politischen Niveau kam vor allem ein Thema zum Einsatz. Doch was bedeutet das "Ausländerproblem"?

Die Fakten: Österreich beheimatet rund 1,29 Millionen Immigranten unterschiedlichster Herkunft und Staatsangehörigkeit. Ein beachtlicher Teil konzentriert sich in Wien, wo ca. 513.000 Nicht-Österreicher leben. Die größten Anteile stellen Serben, Montenegriner und Kosovaren, mit über 100.000 Menschen, und Deutsche, von denen knap 40.000 in der Hauptstadt zuhause sind (Stand 01.10.2010, vgl. Statistik Austria). Wo genau ist das Problem?

Das "Ausländerproblem", wie es wahrgenommen und instrumentalisiert wird, sowie die oft zitierte Angst vor einer "Überfremdung" Österreichs haben andere Ursachen als Hautfarben und bunte Kopftücher. Sie sind das Symptom eines tiefergreifenden Missstandes: Das "Ausländerproblem" ist eigentlich ein Bildungsproblem.

Bildung nimmt die Angst

Warum ist das propagierte Problem stetiger Zuwanderung und "Überfremdung" bis zum prophezeiten Verlust nationaler Kultur und Identität ein Bildungsproblem?



  • Das "Fremde" ist ein Mittel zur Distinktion, also zur Abgrenzung der eigenen von anderen Identitäten. In einer zunehmend globalisierten Weltgesellschaft mit uneingeschränkten Kommunikations-, Reise-, Handels- und anderen Interaktionsmöglichkeiten entwickelt sich ein schärferes Bewusstsein für die übrig gebliebenen Unterscheidungsmerkmale, allen voran die eigene kulturelle Identität (mit Sprache und Religion) (vgl. Huntington 1997: S. 94ff).

    Bildung vervielfältigt die Möglichkeiten zur Identitätskonstruktion und Distinktion: Individuelle Qualifikation schafft zusätzliche Unterscheidung. Je spezieller die Qualifikation, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, nur einer von vielen zu sein. Das wiederum entschärft möglicherweise die Wahrnehmung kultureller Unterschiede als letzte Rettung der eigenen Identität.

  • Bildung, wenn sie nicht ideologisch gefärbt ist, wirkt immer integrativ: Sie konfrontiert mit neuen (fremden) Sachverhalten und Ansichten und trainiert den objektiven Umgang mit empirisch erfassbaren (sozialen) Tatsachen.

  • Pragmatisch argumentiert ist es auch auf mangelnde (Aus- und Weiter-) Bildung im eigenen Land zurückzuführen, dass Industrie und Wirtschaft auf qualifizierte Immigranten angewiesen sind. Ein neues Visum für Hochqualifizierte soll die Zuwanderung von dringend benötigten Fachkräften fördern - und schürt damit wohl Angst bei jenen, die sich ohnehin schon benachteiligt fühlen (vgl. auch "Es fehlen die Fachkräfte").

  • Schließlich macht fundierte (Aus-) Bildung den Einzelnen (kognitiv wie ökonomisch) flexibler und wappnet für achso gefürchtete ausländische Konkurrenz am Arbeitsmarkt, sodass weder die wirtschaftliche Notwendigkeit geförderter Zuwanderung, noch Angst vor den vermeintlich "arbeitsplatzraubenden Ausländern" bestehen müsste.

  • Zeitgemäße Bildung würde außerdem dazu beitragen, die multikulturelle Segmentierung einer Gesellschaft als Vorteil im globalisierten Wettbewerb zu verstehen, anstatt sich von nationalistischer Angst-Propaganda lähmen zu lassen (zB. vgl. IHS-Bericht über Mitarbeiter mit Migrationshintergrund und vgl. "Fachwissen von Migranten ist ungenutzt").


  • Fakt ist jedenfalls auch, dass Xenophobie, also Fremdenangst bzw. -feindlichkeit, negativ mit dem Bildungsgrad dieserart ängstlichen Menschen zusammenhängt (vgl. Ganter 1998: S. 59 und vgl. "Fremdenfeindlichkeit: Bildung macht toleranter"). Gemessen daran also ist unser Bildungssystem dringend reformbedürftig.

    Bildungsreform à la FPÖ

    Was verspricht der Wiener Wahlgewinner, die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), zur Verbesserung der Bildungssituation? Ein Blick in das "Handbuch freiheitlicher Politik" offenbart ihr Bildungsverständnis:



  • Für den primären und sekundären Bildungssektor (Pflichtschule und weiterführende Schulen) fordert die FPÖ zB. einen Numerus Clausus bereits beim Übertritt in die AHS-Oberstufe (vgl. S. 231), sowie

  • die "Wiedereinführung der Beurteilung der äußeren Form der Arbeiten in der Pflichtschule und verpflichtende Verhaltensregeln mit entsprechenden Konsequenzen" (S. 231),

  • außerdem die Förderung von Privatschulen

  • und - ab einem bestimmten Schüler-/innen-Anteil - eigene Migrantenklassen.

  • Das Konzept der Ganztagesbetreuung wird lediglich im Zusammenhang mit finanziellen Mehrbelastungen für "kinderreiche Familien" erwähnt, ohne konkrete Vorschläge zu machen oder es explizit zu befürworten.

  • Die Reform des tertiären Bildungsbereichs (Unis und Fachhochschulen) beinhaltet nach Vorschlägen der FPÖ unter anderem, dass die bei der Matura absolvierten Prüfungsfächer die folgende Wahl des Hochschulstudiums einschränken ("mitbestimmen") sollen (vgl. S. 231f).

  • Die Forderung nach freiem Hochschulzugang wirkt angesichts der gewünschten Vorselektion bereits in der AHS als Alibi-Bemerkung.

  • "Zu den wichtigsten Bildungszielen gehören auch die Pflege der österreichischen Eigenart und die Erhaltung des kulturellen Erbes" (S. 230).


  • Kurz: Anstatt integrative Potenziale von Bildungsmaßnahmen und -einrichtungen zu nutzen, schlägt die FPÖ frühe Selektion und Desintegration vor, und mit einer Förderung von teuren Privatschulen die Auslagerung von Qualität, also die Verschärfung eines Zwei-Klassen-Bildungssystems (bereits bedingt durch sozioökonomische Faktoren). Umfassende Bildung bleibt diesem Modell zufolge ohnehin schon guten Pflichtschülern (Numerus Clausus) oder vermögenden Privatschülern vorbehalten.

    Seit Jahren weiss die Politik um die gravierenden Defizite im Bildungssystem. Eine Reform des österreichischen Bildungs- und Schulsystems lässt dennoch weiter auf sich warten. Dabei würde zB. die "Neue Mittelschule" - wie von der OECD vorgeschlagen - Chancengleichheit fördern und die Inklusivität des Bildungssystems erhöhen (vgl. OECD-Länderprüfungen. Migration und Bildung. Österreich, S. 9 u. S. 32).

    Über die Gründe dafür, warum sich die Verantwortlichen dieses Landes derart vehement gegen verbesserte Bildungsbedingungen für alle wehren, kann nur spekuliert werden. Fest steht: Eine Nation Gebildeter würde sich so eine Politik nicht gefallen lassen.

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