Montag, 3. März 2008

Just Junk? Was ist "Qualität" im Web 2.0?

Auf der Suche nach "Qualität" gerät man im Web 2.0 schnell in Verzweiflung: Rubbish, Junk, unästhetische Eigenkreationen säumen den steinigen Weg des naiven Wonderers.


Es ist ja nichts Neues: Wer sich einmal in aller Ruhe auf MySpace umgesehen hat, kennt das Phänomen kompletter Reizüberflutung. Wenn zu schlechter Typografie auf unruhigen Seiten auch noch ungefragt Musikgedudl dazu kommt, schaltet man als nicht-geübter User so schnell wie möglich auf konventionellere Kanäle. Und gerade die geübten Web-User müssten es auf Profilseiten von MySpace & Co. besonders schwer haben: uneinheitliche Navigationselemente, die oft nur schwer vom Hintergrund zu unterscheiden sind, unübersichtlich viele "Zusatzfunktionen" (Landkarten, Slideshows und was das Web noch so zu bieten hat) - und das alles von Userprofile zu Userprofil anders kombiniert, gestaltet und angeordnet.

Und trotzdem stehen die Leute darauf: Jedes Monat loggen sich 110 Millionen User auf MySpace ein, um ihre Wahrnehmung auf herausfordernde Weise zu trainieren - und nebenbei ein wenig sozial zu netzwerken.

Ähnlich, wenn auch nicht ganz so unerträglich, geht´s auf Facebook zu. Tausende Apps und Widgets stehen zur Verfügung, um das eigene Profil unübersichtlicher zu gestalten. Und diese Tendenz steigt mit der wachseneden Zahl individualisierbarer Webinhalte.

Qualität lässt sich im Web also schwer anhand üblicher ästhetischer Kriterien messen. Gute Gestaltung oder gute Gestaltbarkeit scheinen keine notwendige Voraussetzung für den Erfolg (oder den vermeintlichen Nutzen) von social services zu sein. Joshua Porter hält den Unterschied fest: "Bad visual design. Good social design", und hat auf seiner Seite damit eine interessante Debatte ausgelöst.

Und Benutzbarkeit? Individualisierte, (von Laien) in einem gewissen Rahmen frei gestaltbare Inhalte können nur schwer allgemein gültigen Usability-Konventionen entsprechen. Dazu müsste die Userschaft aus Gestaltungsprofis bestehen, die obendrein massenmedientypische Motive verfolgen, wie die Reichweite oder Marktanteile zu steigern.

Das "keyfeature" von Social-Networking-Plattformen ist die soziale Komponente, oder: die Anhäufung sozialen Kapitals (wenn auch in erster Linie virtuell). Auch Schulzki-Haddouti identifiziert die Fähigkeit eines Systems, Vernetzung von Nutzern zu erleichtern, als wesentliches Kriterium für soziale Software. Solange dies gewährleistet ist, braucht Qualität im Web 2.0 nicht ästhetischen Ansprüchen zu genügen, sondern lediglich sozialen.

Alles in allem erinnert mich das Phänomen erfolgreicher Anwendungen, die weder auf Benutzbarkeit, noch auf Ästhetik aufgebaut sind, an die massenhafte Verbreitung (und intensive Nutzung) des mobilen Short Message Service SMS (oder siehe bei Wikipedia.org). Ralph Hinderberger und Maria del Carmen Martinez zeichnen in ihrem Artikel seine Erfolgsgeschichte nach und stellen die Frage, wer oder was die breite Akzeptanz von (eigentlich unbenutzbaren) Technologien bestimmt. Und sie verweisen auf das Kriterium des Nutzungskontextes, der viel wesentlicher ist, als eine von außen objektiv betrachtete Funktionalität. Das Fazit der Autoren:

"Der Anwendungskontext von SMS ist ein kosteneffizienter, orts-unabhängiger und zeitoptimierter Austausch von speicherbaren und persönlich relevanten Informationen mit günstigen mobilen Endgeräten unter dem Schutz der Privatsphäre".

Ich denke, in genau diese Richtung könnte sich auch der Nutzungskontext sozialer Plattformen im Web entwickeln. Die Parallelen des Erfolgs derart "unästhetischer" Phänomene wie dem SMS oder dem Web 2.0 sind unübersehbar. In beiden Fällen spielt das menschliche Grundbedürfnis nach Eingebundenheit und Vernetzung eine wesentliche Rolle.

Qualität im sozialen Netz wird also wesentlich geprägt sein von (Kosten-) Effizienz, (Orts-) Unabhängigkeit, (Zeit-) Optimierung, persönlicher Relevanz und dem Schutz der Privatsphäre. Visuelle Features sind (zumindest noch) zweitrangig (abgesehen von Special-Interest-Plattformen wie Flickr). Und ganz abgesehen von zB. journalistischen Ansprüchen. Aber was ist content überhaupt noch wert im Web 2.0...?

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Die meisten Myspace-Seiten sind aus Designer-Sicht ein Albtraum. Aber Myspace wurde gerade deshalb so populär, weil es frei gestaltbar ist.
Die Perlen oder Qualitätsseiten gibt es in Web 2.0 genau so, wie es ab und zu eine gute Sendung am Fernsehen hat.