Montag, 7. Juli 2008

Das P-Wort

Was das N-Wort für amtierende Regierungen, ist das P-Wort für mich. Aus gegebenem Anlass möchte ich´s trotzdem wagen, ein paar Gedanken dazu in mehr oder weniger elaboriertem Zustand in die Weiten des Web 2.0 zu schicken.

Es gibt sie, die politischen Plattformen im Netz, auf denen aktuelle Entwicklungen diskutiert werden. Oft war ja sogar die Rede davon, das partizipative Web 2.0 könnte zu einer Re-Demokratisierung der Gesellschaft(en) führen. Dabei fällt allerdings auch das K-Wort: Komplexität.

Immer mehr Stimmen zu einer immer länger werdenden Themen-Agenda bewirken vor allem eines: diejenigen mit Überblick über Themen und die relevantesten Meinungen dazu verwerten den gestiegenen Informationsfluss effizienter und zu ihrem (Wissens-) Vorteil, während alle anderen daraus nicht sehr viel klüger werden - ein mittlerweile altbekanntes Phänomen einer wachsenden Wissenskluft.

Wie politisch also kann das Web 2.0 sein, in dem jeder über das vermeintlich Wesentliche sich täglich ändernder Fragen in einer immer dynamischer werdenden Gesellschaft sinniert - gepaart mit einer kräftigen Portion Ideologie und Fanatismus, oder Euphorie - alle samt wichtige Identitätsstifter.

Identität entsteht - abseits des Politischen - am bewährtesten durch Gemeinsamkeiten und das Abgrenzen vom vermeintlich Fremden. Feindbilder wirken immer: die Mitbewerber, die bösen Nachbarn, die andere Abteilung. Selbstverständlich bedient sich auch die Politik dieser Mechanismen und entwickelt entsprechende Identitätsangebote - möglichst plakativ, eingängig, prägnant -, die Zielgruppen vereinen und gegen das Fremde, Andere, Böse abgrenzen.

Mit der Darstellung komplexer Systemzusammenhänge zwischen ökonomischen, sozialen und ökologischen Faktoren im globalen Kontext gewinnt man keine Wahlen. Das Andere, Fremde kann bei dieser Betrachtungsweise "next door" oder zwei Kontinente weiter lauern, vielleicht sogar innerhalb der eigenen Handlungen verborgen sein. Diese "Feinde" lassen sich schwer abbilden, schwer zu Feindbildern formen. So diffus wie die tatsächlichen Feindbilder sind auch die Meinungen im Netz.

Wie soll ein derartiges Konglomerat Gesellschaften demokratisieren? Ganz zu schweigen davon, dass die Nutzung des Netzes nach wie vor wesentlich von sozioökonomischen Faktoren abhängt - vom Zugang bis zur Wahl der völlig individualisierbaren Inhalte. In vielen Schichten herrscht standhafte Informationsvermeidung vor, steht das Video-Portal deutlich über der Nachrichten-Site. Die von Natur aus selektive Wahrnehmung des Menschen wird durch das massenhafte Angebot im Netz gefördert, die Themen-Integration gehemmt.

Ich befürchte, bei allem Idealismus bleibt das Web 2.0 in Summe politisch bedeutungslos, der Diskurs in social networks wird unter Gleichgesinnten geführt - wenn er denn zugelassen und nicht - wie bei Xing - bewusst unterbunden wird. Dennoch wäre das Thema eine nähere Betrachtung wert, die über das subjektive Gefasel eines Beobachters hinausgeht, der den Gebrauch des P-Wortes am liebsten vermeidet.

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