Feldherrenposen von Agenturchefs in Inseraten und die unaufhörliche Selbstbeweihräucherung mit unzähligen Awards täuschen gelegentlich über ein gravierendes Innovationsdefizit der Werbebranche hinweg.
Dabei bietet das Web 2.0 - oder: Social Web - unzählige Angriffspunkte (um dem militärisch angehauchten Duktus der Selbstvermarkter treu zu bleiben) für innovatives Targeting und noch größeren Impact einer Botschaft. Wie nirgendwo sonst kann man im neuen virtuellen Sozialgefüge des World Wide Web aus dem medialen Hinterhalt agieren, um kurzfristig an mehr Aufmerksamkeit oder langfristig am Image von Marken und Produkten zu drehen.
Noch immer wird der Werbewert eines langweiligen Plakats am Straßenrand daran gemessen, wie viele Rezipienten (einer Zielgruppe) im Schnitt daran vorbei kommen - als könnte man tatsächlich von einer persuasiven Wirkung immer gleicher Kaufhinweise ausgehen, während die angepeilten Konsumenten telefonierend, mit dem Beifahrer plaudernd, Kurznachrichten-tippend daran vorbei rollen oder spazieren. Vor allem junge Zielgruppen pflegen einen vollkommen anderen Medienumgang, dem derart träge, passive Werbemittel kaum gerecht werden.
Facebook, Flickr und StudiVZ, MySpace, YouTube oder delicious.com haben uns eine völlig neue - und zugleich nicht ungewöhnliche - Mediennutzung wieder gelernt, die gemeinsame nämlich. Ihr Erfolgsrezept ist das explizite oder implizite Ansprechen und Befriedigen vermeintlich banaler menschlicher Bedürfnisse, allen voran die der Kommunikation, der sozialen Anerkennung und der Unterhaltung (oder Realitätsflucht). Niemand hätte vor seiner Einführung Anfang der 1990er erwartet, dass das schrecklich unhandliche SMS (Short Message Service) einmal mehr als ein Viertel des Mobilfunkumsatzes generieren würde. Menschen wollen miteinander in Kontakt treten, um sich innerhalb sozialer Systeme zu orientieren (deren Grundbaustein wiederum Kommunikation darstellt), den selben Zweck erfüllt soziale Anerkennung, auf der die stark wachsende OpenSource-Bewegung genauso basiert, wie es YouTube mehr als 60.000 neue Videos pro Tag beschert. Es ist ein immer und immer wiederkehrendes "Key Feature" im neuen, sozialen Web, dessen Multimedialität schlichtweg zu einer Multimodalität des Austausches geführt hat - aber auch (zumindest potenziell) der Werbung.
Und? Neunmalklug?
Zurück zur Trägheit der Werbeindustrie und ihrer mangelhaften Experimentierfreude, wenngleich einige wenige Ausnahmen die Regel bestätigen: T-Mobile ließ ähnlich einem Flashmob Hunderte im öffentlichen Raum eines Bahnhofs abtanzen, und Eristoff rief unter dem Motto "Land of the Wolf" zum öffentlichen Wolfsgeheule auf. Warum also nicht die neu angeeignete Mediennutzung verbunden mit einer sozialen Komponente auch für werbliche Zwecke "missbrauchen"? Was spricht dagegen, zB. Plakatfläche im öffentlichen Raum nach einem adaptierten Modell des Social Web zur Kommunikation, Bewertung und Interaktion zur Verfügung zu stellen, um die Aktion geschickt mit einer Botschaft zu verknüpfen?
Oder ein anderes Beispiel einer verlockenden Gelegenheit, guerilla-mäßig für die eigenen Produkte zu werben: Am 4. April 2009 finden an verschiedenen Orten der Welt kleine, harmlose Polsterschlachten statt (www.pillowfightday.com). Einige der Teilnehmer sind darauf bedacht, die vermutlich entstehende Unordnung wieder zu bereinigen und rufen dazu auf, ein paar Besen mitzubringen. Eine Aktion wie diese, die unter Garantie überall im Web dokumentiert werden wird, eignet sich hervorragend, um ganz nebenbei den eigenen professionellen Reinigungsservice in Szene zu setzen. Die Flashmobber wären dankbar für die Unterstützung.
Nie zuvor ließen sich neue Medienkompetenzen einerseits, soziale und kommunikative Grundbedürfnisse der Menschen andererseits so einfach instrumentalisieren. Was aus kritischer Sicht ein gewisses Gefahrenpotenzial birgt, eröffnet innovativen Agenturen neue Wege zu involvierten Konsumenten. Und auch wenn klassische Werbung zur Erreichung bestimmter Zielgruppen durchaus ihre Berechtigung hat, ich würde mir keinen Plakatstandort der Welt mit dem Argument der Kontaktzahlen verkaufen lassen. Von den "Feldherren" der Branche sollte man mehr Strategie erwarten dürfen.
Donnerstag, 29. Januar 2009
Werbung 2.0, oder: Spread the action!
Von Gregor T. um 13:25
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