Mittwoch, 11. November 2009

Kommunikation = Werbung

Werbung, ein Spezialfall von Kommunikation? Unwahrscheinlich, vor allem nach einem Blick in das "social web", oder auf unsere eigenen Kommunikationsgewohnheiten.

Die Gleichung ist banal, wirkt fast billig, und wird hier sicher nicht zum ersten Mal formuliert: Kommunikation ist gleich Werbung, Werbung ist gleich Kommunikation. Wer Werbung also für einen Spezialfall der menschlichen Kommunikation hält, sie nur im Zusammenhang mit kommerziellen Interessen wahrnimmt, sie lediglich als professionell betriebene Überredungskommunikation versteht, sollte beim nächsten Gespräch mit Freunden genauer hinhören.

Oder man wirft einen Blick auf formalisierte zwischenmenschliche Kommunikation, wie sie im Web 2.0 bzw. dem "social web" vorliegt. Die Standardisierung sprachlicher Ausdrücke im Web minimiert nonverbales Rauschen und gibt den Blick frei auf hochprozentige Werbung. Die ist vielleicht selten beabsichtigt und noch seltener bewusst, aber wer im Web kommuniziert, der wirbt.

Auf der Metaebene

Schulz von Thun (2002, S. 14ff, S. 44ff) hat im Rahmen seiner kommunikationspsychologischen Arbeit Ansätze von Watzlawick (Inhalts- und Beziehungsaspekt von Kommunikationen) und Bühler (Appell, Symbol und Symptom von Sprache) kombiniert zu einem Modell sprachlicher Kommunikation, in dem jede Nachricht vier Seiten hat: den eigentlichen Sachinhalt genauso wie Informationen über die Beziehung (zum Adressaten), Teile von Selbstoffenbarung sowie einen Appell. Vieles, das in "social networks" gesagt bzw. geschrieben wird, könnte man wahrscheinlich anhand dieser vier Aspekte analysieren, wobei Beziehungsaspekte von Nachrichten im Web durch sichtbare Verknüpfungen mit "Freunden" und durch "Nachrichten-Threads" oft besonders offenkundig werden.

Rückt man also von formalen Definitionen professionell betriebener (Wirtschafts-) Werbung (als geplante, zielgerichtete, zwangfreie Einflussnahme auf Einstellungen gegenüber Werbeobjekten; zB. vgl. Siegert/Brecheis 2005) ab, und legt man den Fokus auf den Appellaspekt von Nachrichten, wird die Gleichung plausibel: Wer kommuniziert, der wirbt - und appelliert dafür, das Erreichen der eigenen Ziele zu ermöglichen.

Werbung, etwas ganz Natürliches

Auf der Suche nach Prestige, sozialer Anerkennung und Selbstverwirklichung werben wir unentwegt für unsere Ideen, Einstellungen, Ideologien, Absichten - werben also mit allem was wir sagen, tun und wie wir uns nicht-sprachlich präsentieren für die Möglichkeiten, uns selbst zu verwirklichen. Augenscheinlich werden diese Persuasionsversuche in Gesprächen zu Entscheidungsfindungen (Restaurant X oder Café Y?), insbesondere wenn ein gewisses "Anerkennungskonto" - zB. bei Fremden - erst "erworben" werden muss. Aufgrund der spezifischen Form von Kommunikation ist persönliche Werbung nirgends leichter zu beobachten als im Web 2.0.

Werbemedium Web 2.0

Der Antrieb des "social web" ist die Suche seiner Nutzer nach sozialer Anerkennung und Prestige. Jeder Video-Upload, jeder Diskussionsbeitrag, jeder Tweet und jede Facebook-Statusmeldung (zugegeben, wohl auch dieser Blog-Eintrag) wirbt auf einer Metaebene für seinen Autor bzw. seine Autorin. Oft geschieht das unbewusst, wenn zB. von prestigeträchtigen Freizeitbeschäftigungen oder persönlichen Highlights berichtet wird (mit dem impliziten Appell, doch bitte die eigenen Qualitäten und Kompetenzen wahrzunehmen und anzuerkennen). Selten wird diese natürliche Werbung, die jeder Kommunikation quasi innewohnt, bewusst wahrgenommen. Wir haben uns wahrscheinlich seit je her an permanente (Eigen-) Werbung gewöhnt.

Für strategische (Wirtschafts-) Werbung birgt dieser Umstand gerade im Werbemedium Web 2.0 ein im doppelten Sinn ungeheures Potenzial. Das Engagement des Werbeunternehmens Google, mittels eines völlig neuen Protokolls namens "Wave" die gesamte Kommunikation im Web zu revolutionieren, spiegelt dieses Potenzial wider. Online-Werbung erfährt nicht von ungefähr im Unterschied zu klassischer Werbung auch in Krisenzeiten einen Aufschwung. Wird sich professionelle Werbung künftig hauptsächlich zwischenmenschlicher Kommunikation bedienen? Wird zwischenmenschliche Kommunikation von ihr zunehmend instrumentalisiert werden?

Das Werbemedium Web 2.0 bietet dafür jedenfalls die besten Voraussetzungen. Es ist nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht ein Medium hochgradig personalisierter Werbung, sondern durch und durch ein Medium für persönliche Werbung, also Kommunikation... das heißt: Werbung.

2 Kommentare:

xxx hat gesagt…

wow. danke für die sehr scharfsinnige analyse. dein gedanke ist beeindruckend und beschämend wahr. da wäre es wohl manchmal doch besser, wieder zum guten alten forumsavatar-dasein zurückzukehren.. hehe.

Gregor T. hat gesagt…

@dasmo

Huhu! Naja, nur die Ergüsse eines - vielleicht - überkritischen Beobachters... ;-)