Montag, 31. Dezember 2007

Das Web-2.0-Dilemma

Das Web als Gratwanderung zwischen autonomer Vernetzung und finanziellem Erfolg: Wie hält dieses sensible System sein Gleichgewicht?

Die Services und Plattformen im "neuen" Web zeichnen sich ja dadurch aus, dass ihre Inhalte von den Nutzern selbst kommen - User-Profile, Diskussionsforen und -beiträge, (im Idealfall eigenproduzierte) Musik und Videos oder nur Linklisten und Page-Ratings. Da die Website-Betreiber also kaum oder keinen eigenen Content produzieren und veröffentlichen, den sie verkaufen könnten, bleibt "nur" die Werbung zur Finanzierung des Service-Betriebs.


Dabei sind möglichst detaillierte User-Profile inklusive der zahlreichen Verknüpfungen im (virtuellen) sozialen Netzwerk Gold wert für (Werbe-) Plattformen wie MySpace oder Facebook. Aus dieser Sicht besteht eine klare Abhängigkeit vom guten Willen und der aktiven Partizipation der Nutzer (die dazu angehalten werden, ihre Selbstdarstellungen möglichst vollständig zu gestalten).


Die Nutzer wiederrum kommen in social networks einigen der grundlegendsten menschlichen Bedürfnisse nach - jenen der Kommunikation und sozialen Interaktion, identitätsstiftende Handlungen. Sich auf diese einfache Weise seiner selbst zu vergewissern und einen Teil seiner Sozialhygiene "auszulagern", birgt aufgrund der Unkompliziertheit für manche möglicherweise "Suchtpotenzial", womit sich auch hier eine gewisse Abhängigkeit einstellt.


Das Resultat ist eine sensibles System gegenseitiger Abhängigkeiten: Plattformen brauchen hohe Mitgliederzahlen und detaillierte Nutzerdaten, um mit möglichst zielgenauer Werbung Geld zu verdienen; und die User gewöhnen ihrerseits sich an die neuen, bequemen Formen des Kontaktmanagements und verlassen sich auf die bereitgestellten Vernetzungsangebote und Tools.


Geringfügige Änderungen in Angebot und / oder Strategie (Stichwort: Datenschutz) können die User einer Plattform auf die Barrikaden treiben und das vermeintliche Gleichgewicht ins Schwanken bringen.

So schwierig diese Dynamik zu beobachten ist, vor allem weil auf Seiten der heterogenen, dispersen Nutzerschaft jede Menge individueller Faktoren und Dispositionen wirken, so interessant sind die Fragen, die sich schon bei der oberflächlichen Beobachtungen der Phänomene stellen:

Welche neuen Formen einer verträglichen (und akzeptierten) - möglicherweise stark suberversiven - Werbung werden sich in der nächsten Zeit entwickeln? Popups, Text- und Bildeinschaltungen lassen sich durch technische Hilfsmittel relativ leicht ausblenden.

Gibt es in den neuen sozialen Netzwerken soetwas wie Opinion Leader (oder andere Hierarchien), und wie entwickeln sich diese bzw. woran sind "Meinungsführer" auf MySpace & Co. zu erkennen? Ich denke, sollten sich solche Strukturen nachweisen oder gar vorhersagen lassen (möglicherweise schon anhand der ersten Angaben bei der Anmeldung eines neuen Nutzers), werden sie für eine indirekte Form der Werbung - bzw. eine Art "kommerzielles Lobbying" - besonders interessant sein (sofern die neuen Meinungsmacher noch nicht genutzt werden).

Klar ist für mich, dass die größte Stärke sozialer Webplattformen (die sich in irgendeiner Form indirekt finanzieren) gleichzeitig auch potenziell ihre größte Schwäche darstellen: Die Möglichkeit zur leichten und multidimensionalen Vernetzung und Kommunikation (und Bildung von Sub-Systemen und virtuellen Gruppen) ist ihr Hauptangebot, die "Killer Application" im Web 2.0. Gleichzeitig besteht durch die intensive Vernetzung der Mitglieder für "social software" die Gefahr einer enorm raschen Reaktion der User auf Veränderungen der Rahmenbedingungen (ob extern oder intern).

Diese Dynamik systematisch zu analysieren, könnte neue sozialwissenschaftlichen Forschungperspektiven eröffnen.

Keine Kommentare: